Trafo-Station am Albert-Richter-Weg als Lern- und Erinnerungsort
Die Trafo-Station am Albert-Richter-Weg bei der Gesamtsportanlage Ober der Röth erstrahlt seit einigen Wochen in neuem künstlerischem Glanz: Der Mainzer Graffiti-Künstler German Siedler gestaltete die Anlage im Auftrag der Syna GmbH, Netztochter der Süwag Energie AG, in Abstimmung mit der Stadt Schwalbach am Taunus. Das Werk widmet sich dem Namensgeber der Straße – dem Bahnrad-Weltmeister Albert Richter – und verbindet auf eindrucksvolle Weise Kunst, Erinnerung und Wertevermittlung.
Das Graffiti zeigt ein überlebensgroßes, stilisiertes Porträt des Radrennfahrers in Schwarz-Weiß, flankiert von seinem Namen, den Lebensdaten und Begriffen wie Freiheit, Toleranz, Frieden, Solidarität und Demokratie sowie dem Schriftzug „Der vergessene Weltmeister“. Auf den Seitenflächen und der Rückwand ergänzen Worte wie Respekt, Zivilcourage, Engagement, Einsatz und Freundschaft das Werk – Schlagworte, die die Persönlichkeit und die Haltung Richters widerspiegeln. Über sein Schicksal gibt ein Gedenkstein Auskunft, der im April 2022 neben der Trafo-Station errichtet wurde.
In der vergangenen Woche besuchte die Klasse 9b der Friedrich-Ebert-Schule gemeinsam mit ihrer Kunstlehrerin Anke Wenderoth das Kunstwerk. Im Rahmen des Kunstunterrichts wird sich die Klasse künftig noch mit dem Thema Streetart beschäftigen. Vor Ort trafen die Schülerinnen und Schüler auf Bürgermeister Alexander Immisch und Historikerin und Stadtverordnete Dr. Claudia Ludwig, die die Umsetzung des Kunstprojektes begleitete und vor fünf Jahren die Initiative zur Umbenennung der Straße ergriffen hatte.
Die Historikerin vermittelte den Jugendlichen die bewegende Lebensgeschichte des „vergessenen Weltmeisters“: Albert Richter, 1912 in Köln geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen und stieg in den 1930er-Jahren zum mehrfachen Deutschen Meister und Weltmeister im Bahnradfahren auf. Trotz seiner Erfolge ließ er sich nicht vom NS-Regime vereinnahmen. Er setzte sich für jüdische Freunde und Kollegen ein, schmuggelte Preisgelder über die Grenze und verweigerte bei Siegerehrungen den Hitlergruß – die Fotokopie eines Fotos, das Frau Dr. Ludwig mitgebracht hatte, belegt diesen mutigen Moment. 1940 wurde Richter von der Gestapo verhaftet und im Alter von nur 27 Jahren ermordet.
Die Idee, die ehemalige Straße „Am Sportplatz“ nach ihm zu umbenennen zu lassen, entstand, als die Historikerin seinen Namen erstmals in einer Ausstellung im französischen Verdun entdeckte. Dass der Sportler in Frankreich und später auch in der DDR bekannter war als in der Bundesrepublik, bestärkte sie darin, seinem Andenken in Schwalbach am Taunus einen festen Platz zu geben.
Bürgermeister Alexander Immisch nutzte den Besuch der Schülerinnen und Schüler, um die Bedeutung von Erinnerung und Haltung in der Gegenwart zu unterstreichen. „Gerade in einer Zeit, in der Populisten Ausgrenzung und Abschottung propagieren und mit den Ängsten der Menschen spielen, ist es wichtiger denn je, an die Opfer der Verfolgung im Nationalsozialismus zu erinnern“, sagte er. „Diese Populisten stellen auch das infrage, was ihr als Klasse lebt: ein gutes Team zu sein, das Vielfalt als Bereicherung und Stärke versteht.“
Die Jugendlichen zeigten sich sichtlich beeindruckt – sowohl von der Geschichte des jungen Weltmeisters als auch von der künstlerischen Umsetzung des Themas an der Trafo-Station.
Mit der Gestaltung der Anlage ist am Albert-Richter-Weg ein Ort entstanden, der nicht nur an einen außergewöhnlichen Sportler erinnert, sondern zugleich für Werte wie Mut, Menschlichkeit und Zivilcourage steht.